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Exkursionsbericht: Zwei Länder – Eine Erinnerung?

Spuren des Krieges: NS-Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit in Niederschlesien, 10.-14. Juni 2025

Ziel- und Erkundungsort der in mehrfacher Hinsicht grenzüberschreitenden Exkursion war Görlitz, die östlichste Stadt Deutschlands. Görlitz ist ein imposantes Flächendenkmal und als Stätte beeindruckender Architektur für ihre Jahrhunderte alte Stadtgeschichte weit bekannt. Spätgotik, Renaissance, Barock und dann natürlich „Görliwood“ – das alles wirkt auf den Betrachter altehrwürdig, ein bisschen verträumt, in jedem Fall aber vormodern. Das Thema unserer Exkursion war aber nicht das mittelalterliche und das vormoderne Leben in einer prosperierenden Stadt, sondern ihre jüngere und jüngste Geschichte im 20. Jahrhundert. Uns interessierten dabei v. a. die ‚Spuren des Nationalsozialismus‘ und das Erinnern an die nationalsozialistische Zwangsarbeit. Der Fokus lag auf dem Umgang zweier Länder, der DDR bzw. Bundesrepublik Deutschland sowie der Volksrepublik bzw. Republik Polen, mit der NS-Geschichte. Die Studierendengruppe waren aus ‚alten‘ und ‚neuen‘ Bundesländern zusammengesetzt, die Erkenntnisse waren entsprechend groß und die ‚Völkerverständigung‘ erfolgreich.

Die malerische Altstadt bildete den Treffpunkt unserer Exkursionsgruppe, die sich aus 18 Studierenden der Johannes-Gutenberg Universität Mainz und des IWTG der TUBAF zusammensetzte. Erfreulicherweise hatte die Exkursionsleitung, Dr. Freia Anders aus Mainz und Prof. Dr. Eva-Maria Roelevink aus Freiberg, eine sowohl nach Geschlecht als auch nach Studienfächern variantenreiche Gruppe beisammen, sodass die Studierenden die Chance hatten und sie auch ergriffen haben, sich im intensiven Austausch das eine oder andere beizubringen. Selbstverständlich war schon die Anfahrt nervenaufreibend und ereignisreich. Zum Get-Together waren erfreulicherweise alle Teilnehmenden mit Bahn oder PKW eingetroffen und lernten sich zunächst noch verhalten kennen. Beim gemeinsamen Abendessen wurde erste Gespräche geführt und auch erste Vorurteile abgebaut. Das Thema des Abends war dann bemerkenswerterweise weniger das Spannungsverhältnis zwischen ‚alten‘ und ‚neuen‘ Bundesländern als vielmehr die Vor- und Nachteile des Studiums an einer großen Volluniversität, wie der in Mainz, und einer kleineren Fachuniversität, wie der in Freiberg.

Thematisch haben wir das Feld mit einem Besuch der Kulturhistorischen Sammlungen der Stadt Görlitz eröffnet. Dort wird seit März des Jahres die Sonderausstellung „Nationalsozialismus in Görlitz“ gezeigt. Neben den Ausstellungsobjekten hat uns hier besonders die Ausstellungskonzeption interessiert. Dankenswerterweise wurden wir von einem der drei Kuratoren, Dr. Sven Brajer, durch die Ausstellung geführt, der uns sowohl die Konzeption als auch die Auswahl der Objekte erläutern konnte und darüber hinaus intensiv mit uns diskutiert hat. Die Sonderausstellung lieferte den TeilnehmerInnen neben dem Blick hinter die Kulissen der Ausstellung einen übergreifenden und allgemeinen zeitgenössischen Kontext und vermittelte die großen Linien und Ereignisse, die für Görlitz im Besonderen zwischen 1933 und 1945 maßgeblich waren. Die Vertiefung besonders zum Kriegsgeschehen und dem Einsatz von ZwangsarbeiterInnen in Görlitz haben wir dann mittels einer Ortsbegehung und -führung gewinnen können. Herr Breutmann vom Kulturbüro Görlitz hat uns zu einigen Orten der Zwangsarbeit in der Görlitzer Südstadt geführt. Neben den noch sichtbaren Hinterlassenschaften ging in es in diesem Teil um die Erinnerungs- und Gedenkpraxis, die sich nach 1945 herausgebildet hat. Die Erinnerungsstätten zeugen von einer kontroversen Nutzung. Während das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers heute eine Kleingartenanlage ist, werden andere Gelände aktuell von Siemens und anderen Unternehmen genutzt. Es existieren Gedenksteine, die allerdings von Besuchern offensichtlich nicht nur positiv, sondern auch kritisch gesehen werden und an denen sich auch Spuren antisemitischer Schändung zeigen. Unsere Tour endete auf dem jüdischen Friedhof. Und spätestens hier wurde deutlich: Es existieren eine ganze Reihe von Orten der Erinnerung und ebenso ist eine Gedenkpraxis erkennbar. Im Vergleich zu anderen deutschen Städten ist zudem eine starke Auseinandersetzung feststellbar. Die Erinnerungspraxis ist allerdings nicht unbestritten. Da macht Görlitz keine Ausnahme.

Die nächste Etappe führte uns nach Zgorzelec, dem polnischen Teil der durch die Oder-Neiße-Grenze geteilten, heutigen Europastadt. Hier konnten wir ein eindrucksvolles Beispiel zivilgesellschaftlicher Gedenkstättenarbeit besichtigen. Auf dem Gelände der polnischen Gedenkstätte des ehemaligen deutschen Kriegsgefangenenlagers Stalag VIIIA befindet sich heute das Europäische Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur e.V., das von der gleichnamigen Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Meetingpoint Memory Messiaen unterhalten wird. Dr. Johannes Bent hat uns durch die Dauerausstellung und das Außengelände geführt. Die aktuelle archäologische Forschung war dabei ebenso beeindruckend wie der Besuch des Ehrenfriedhofs auf dem Gelände eines während der NS-Zeit angelegten Massengrabs. Den Höhepunkt der Exkursion bildete die in der Gedenkstätte abgehaltene Konferenz zur „Zwangsarbeit“, die von den ExkursionsteilnehmerInnen aus Mainz und Freiberg selbsttätig organisiert wurde. Die Präsentationen und Diskussionsimpulse der Studierenden haben erkennbar von der Zusammenarbeit profitiert und die Zwangsarbeit im Görlitzer Raum, die Definitionskriterien für ‚unfreie Arbeit‘, die Erinnerungskultur und -arbeit zum Thema gemacht. Für die engagierten Beiträge danken wir unseren Studierenden sehr!  Insgesamt durften wir erleben, wie regionalspezifisch die transnational vorgenommene historische Forschung zur Zwangsarbeit immer noch ist. In Hinblick auf die Erinnerungsarbeit wurde deutlich, welche Hürden – sprachlicher, kultureller, aber auch politischer Art – weiterhin bestehen, aber auch überwunden werden könn(t)en. Für die Unterstützung der Freunde der Geschichtswissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität e. V. danken wir sehr.

Die Studierendengruppe aufgestellt auf einer Treppe, im Hintergrund Bäume

Bericht von Freia Anders und Eva-Maria Roelevink

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